Interview Psychosomatik - Die Corona-Pandemie belastet Köper und Seele

Mittwoch 11. 8. 11. Aug 2021

Herr Dr. Schröder, was machen solche Ausnahmezeiten mit den Menschen?
Sie sind für viele Menschen eine erhebliche Belastung, für Körper und Seele. Dies bestätigen auch Untersuchungen, die sich beispielsweise mit den Folgen von „Long Covid" beschäftigen. Sie zeigen, dass neben körperlichen Schädigungen beispielsweise der Lunge oder der physischen Erschöpfung oft auch psychische Probleme auftreten. Wir müssen daher immer vielfältige Aspekte berücksichtigen, wenn wir diesen Menschen helfen wollen. Psychosomatik bedeutet nicht, dem Körperlichen weniger, sondern dem Seelischen mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Sind Ihnen auch Veränderungen bei vermeintlich „normalen" Menschen aufgefallen?
Man kann grob drei Gruppen unterscheiden: eine, die relativ unbeschadet diese Ausnahmezeit übersteht, eine, die bestimmte Symptome mit der Zeit entwickelt und eine, die bereits vor der Pandemie durch andere Umstände stark belastet war und daher besonders unter der Situation leidet. Solche Menschen hatten beispielsweise keine sozialen Kontakte oder bereits im Vorfeld körperliche oder seelische Belastungen. Jeder Mensch geht irgendwann in die Knie. Es kommt also auf den heute viel gebrauchten Begriff der Resilienz an, wieviel ein Mensch aushalten kann. Welche Fähigkeiten besitze ich, um bestimmte Belastungen wegzustecken? Auch für Jugendliche war die Zeit zum Teil extrem belastend, und sie benötigen weiterhin unsere besondere Achtsamkeit. Auch „Long Covid" wird uns mit Sicherheit in der Zukunft noch lange weiter beschäftigen.

Die Abteilung für Psychosomatik und Psychotherapie musste 2020 mehr als zwei Monate wegen der Pandemie schließen. Mittlerweile können Sie und Ihr Team wieder Menschen stationär oder in der Tagesklinik versorgen. Wie haben die Patienten die vergangenen Pandemiemonate überstanden?
Es fiel uns in der Tat sehr schwer, unsere Patienten in der Pandemie entlassen zu müssen. Manche konnten wir durch eine ambulante Versorgung, andere durch eine Behandlung in der Psychiatrie weiterversorgen lassen. Wir haben die Situation gut gemeistert, mussten aber natürlich den Patienten einiges zumuten und sie aus ihrem geschützten Bereich entlassen.

Wer hat sich denn angesichts der vielen Restriktionen im öffentlichen Leben überhaupt noch professionell um die Menschen mit psychischen Problemen kümmern können?
Die ambulante Versorgung von Patienten ist allgemein auch während der Pandemie weitergegangen, aber war natürlich sehr stark gefordert. Anders bei der stationären Versorgung. Der Beschluss des Bayerischen Gesundheitsministeriums im März 2020, die Psychosomatik aufgrund des Infektionsgeschehens komplett zu schließen, war sehr hart, und es gab durchaus Kliniken, die sich dem aus ärztlicher-ethischer Verantwortung widersetzt haben. Andererseits war es eine sehr ungute Situation, Patienten auf Widerruf stationär zu therapieren und ggf. dann doch kurzfristig entlassen zu müssen. So etwas spüren sie.

Sie setzen sich seit vielen Jahren dafür ein, die Psychosomatik im Landkreis und in der Region bekannter zu machen. Dennoch weiß noch nicht jeder, was es damit auf sich hat.
Unter den niedergelassenen Ärzten im Landkreis Freising sind wir mittlerweile bekannt, und sie überweisen Patienten an uns. Aber es ist bedauerlich, dass die Hemmschwelle für manche Erkrankte so hoch ist, dass sie lange brauchen, bis sie in eine psychosomatische Behandlung für Körper und Seele kommen. Psychosomatik setzt immer ein Sich-Einlassen, ein Interesse, eine Beteiligung der Patienten voraus. Der Patient kann also anders als in der somatischen Medizin seine Verantwortung nicht einfach an uns delegieren. Das ist für manchen ungewohnt.

Hat die Psychosomatik im Klinikum Freising Behandlungsschwerpunkte?
Wir sind in erster Linie für die Landkreisbevölkerung und angrenzenden Landkreise zuständig. Wir stellen uns dabei sehr breit auf und haben ein Herz für alle. Einen gewissen Schwerpunkt bei der Behandlung bilden die somatoformen Störungen, also Schmerzen und körperliche Beschwerden und Einschränkungen, die sich nicht oder nicht hinreichend auf eine organische Erkrankung zurückführen lassen. Ferner sind Depressionen und Ängste ein weiterer Behandlungsschwerpunkt, und wir behandeln im Klinikum Freising auch Patienten mit Persönlichkeitsstörungen. Solche Patienten leiden oft weniger an sich, sondern beispielsweise an Beziehungen, Erfahrungen mit anderen oder gar an „der Welt". Wir versuchen dann gemeinsam mit dem Patienten ein Modell zu entwickeln, um deutlich zu machen, woher sein Leiden kommt, warum er genau jetzt bei uns ist (zum Beispiel wegen Corona) und unterstützen ihn dabei, seinem Leben eine Wendung zu geben.

Dennoch ist die psychosomatische Behandlung eine „Zwischenstation" auf dem Weg zu mehr Stabilität. Wie lange kann bzw. darf eine Therapie bei Ihnen dauern?
Die Psychosomatik ist oft eingebettet in eine ambulante Psychotherapie. Es folgt fast immer eine ambulante Fortsetzung der Behandlung. Wir haben das Glück, dass uns die Krankenkassen voll unterstützen und verstehen, was wir hier machen. Auch wissen sie, dass die Behandlungskosten durch uns langfristig geringer sind, als wenn sich die Patienten sinnlosen körperlichen Behandlungen und Abklärungen unterziehen. Daher können wir nach wie vor die Aufenthaltsdauer jedes Patienten mit ihm individuell bestimmen und abrechnen. Eine stationäre Behandlung unter vier Wochen macht aber keinen Sinn, weil die Patienten erst „ankommen" müssen, bevor dann die eigentliche Therapie einsetzen kann. Acht Wochen ist daher eher die Regelbehandlung.

 

Dr. Bruno Schröder, Chefarzt der Psychosomatik und Psychotherapie, Klinikum Freising